Sanktionen im SGB II

zuletzt bearbeitet 7.11.2019

Die „Hartz-IV“-Reformen traten zum 1.1.2005 in Kraft. Die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe für erwerbsfähige Personen wurden zusammengeführt. Die neue Leistung, das Arbeitslosengeld II, wurde schnell "Hartz IV" genannt. In der öffentlichen Diskussion ist „Hartz IV“ untrennbar mit dem Sanktionsregime verbunden, das mit der Reform geschaffen wurde. Wer den Anforderungen, die das Jobcenter stellt, nicht entspricht, dem werden die Leistungen gekürzt oder ganz gestrichen.

Die drastischen Sanktionsregelungen, die bis zum 5.11.2019 galten, wurden nicht mit dem Sozialgesetzbch II, dem „Hartz IV“-Gesetz, eingeführt. Sie wurden erst mit dem „Fortentwicklungsgesetz“, das im Sommer 2006 von der großen Koalition verabschiedet wurde, geschaffen.

Ausführlich zur rechtsgeschichtlichen Entwicklung vom Bundessozialhilfegesetz vom 30.6.1061 bis zum Urteil des BVerfG vom 5.11.2019 siehe Stellungnahme des Vereins Tacheles S. 20 bis 36.

Im "Hartz IV"-Urteil vom 9.2.2010 kam das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis, dass der Anspruch auf existenzsichernde Leistungen bei wirtschaftlicher Bedürftigkeit unmittelbar aus dem Menschenwürdegrundsatz aus Art. 1 Abs. 1 GG erwächst (BVerfG, 9.2.2010, 1 BvL 1/09). Der Anspruch richtet sich auf das soziokultruelle Existenzminimum, nicht lediglich auf zum Überleben Notwendige (Rn 135). Eine Unterscheidung zwischen einer Art "Kernanspruch", der das nackte Überleben sichert, und einem erweiterten Anspruch, der soziale Teilhabe ermöglicht, lässt das BVerfG nicht zu. Der Anspruch "gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie" (ebd).

Dennoch nahm das BVerfG mehrere Verfassungsbeschwerden wegen Sanktionen nicht zur Entscheidung an (siehe Stellungnahme des Vereins Tacheles). Erst als das SG Gotha dem BVerfG die Frage, ob Sanktionen verfassungswidrig sind, mit einem Vorlagebeschluss nach Art. 100 Abs. 1 GG zur Entscheidung vorlegte, befasste sich das Gericht mit dem Thema. In diesem Verfahren wurde der Verein Tacheles eingeladen, als sachverständiger Dritter nach § 27a BVerfGG eine Stellungnahme abzugeben. Diese Stellungnahme habe ich gemeinsam mit Frank Jäger und Harald Thomé verfasst. Gemeinsam mit Harald Thomé habe ich an der mündlichen Verhandlung teilgenommen, die das BVerfG in dieser Sache am 15.1.2019 durchgeführt hat (Bericht von Harald Thomé).

Am 5.11.2019 wurde das Urteil verkündet (1 BvL 7/16), das man politisch insofern als Teilerfolg werten kann, als das BVerfG Sanktionen, die über eine Kürzung von 30% des Regelbedarfs hinausgehen, bis auf Weiteres untersagt hat. Eine überzeugende rechtliche Begründung enthält die Entscheidung dagegen nicht. Die Begründung kann nicht verbergen, dass der Senat sich auf einen politischen Kompromiss verständigt hat, der sich verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen lässt.

Umso mehr kommt es auf die nun bevorstehende politische Auseinandersetzung an.