Untersuchung des IAB: Der „Totalverweigerer“ – ein diskursives Konstrukt ohne Bezug zur Realität
Die CDU hat sich auf Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld eingeschossen. Im Zentrum der Rhetorik stehen zwei Behauptungen. Erstens: Es gebe eine relevante Zahl von Personen, die Leistungen nach dem SGB II beziehen und erwerbstätig sein könnten, wenn sie nur wollten. Diese Menschen lebten nur deshalb von Bürgergeld, weil das für sie attraktiver sei als eine Erwerbstätigkeit. Sie seien „Totalverweigerer“. Zweitens: Wenn man das SGB II (also das Bürgergeldgesetz) reformiere, könne man einige Milliarden € einsparen – vor allem, indem man den „Totalverweigerern“ die Leistungen entziehe.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit hat die Debatte zum Anlass für eine Untersuchung genommen, deren Ergebnisse am 25.9. dieses Jahres publiziert wurden (Bella, Natalie / Röhrer, Stefan / Wolff, Joachim: Totalverweigerer: Viel Lärm um Nichts? IAB-Forschungsbericht 20/2025). Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind losgezogen und haben „Totalverweigerer“ gesucht. Sie haben keine gefunden:
So muss klar darauf verwiesen werden, dass ‚der Totalverweigerer‘ in seiner gesetzlichen Definition (und Intention) in den Jobcentern im Rahmen der Beobachtungen nicht angetroffen wurde.
Die Autorinnen und Autoren sprechen daher vom „diskursiven Konstrukt“ (S. 28) des „Totalverweigerers“. Seine Bedeutung liegt nicht darin, dass es eine relevante Zahl von Personen gäbe, die mit dieser Bezeichnung sinnvoll beschrieben werden könnten, sondern in der diskursiven Funktion der „Sozialfigur“ (S. 31) des „Totalverweigerers“. Das IAB kommt zu dem Ergebnis:
Damit wird ‚der Totalverweigerer‘ zum Scheinriesen: aus der Ferne – vermittelt über Zeitungsartikel oder in abwertenden Urteilen über bestimmte Gruppen von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten – wirkt es, als wäre er vielzählig und daher eine Gefahr für die Finanzierbarkeit der Grundsicherung. (S. 31)
Der Bericht schließt mit einem Zitat aus einer Untersuchung aus dem 2003, die zu dem Ergebnis kam:
„Immer wenn Regierungen ein bis zwei Jahre vor der Wahl stehen und die Konjunktur lahmt, wird die Alarmglocke ,Faulheitsverdacht!' geläutet, auch wenn es keine objektiven Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Arbeitslosen fauler geworden sind.“ (Oschmiansky/Schmid/Kull 2003: 3).
Es ist furchtbar – denn worauf läuft das wohl hinaus? Es wird vermutlich zu einer Reform des SGB II kommen, mit der der Begriff „Bürgergeld“ wieder abgeschafft wird. (Den Begriff „Hartz IV“ muss die CDU nicht wieder einführen, denn die SPD liegt schon am Boden. Außerdem braucht die CDU sie als Mehrheitsbeschafferin.) Aber nennenswerte Einsparungen werden mit der Reform nicht verbunden sein, denn die großen Scharen, die fröhlich Bürgergeld beziehen, anstatt für Geld zu arbeiten, existieren schlicht nicht. Wir haben dazu Daten! Wem könnte das wohl am Ende politisch nützen? Genau: der extremen Rechten, die anbieten wird, dass sie das, was die CDU immer nur ankündige, in vollem Ernst tun werde.
Die Sozialpolitik der CDU zeichnet sich durch eine doppelte Irrationalität aus. Die empirischen Annahmen, auf die sie gestützt wird, sind offensichtlich falsch. Daher können die Effekte, die angeblich erzielt werden sollen, nicht eintreten. Das wird der CDU schaden und dem politischen Gegner rechts außen nützen. Irrational ist das nicht nur in Bezug auf die zumindest vorgebliche sozialpolitische Intention, sondern auch in Bezug auf das vermutlich dahinter stehende Kalkül, der AfD Wählerstimmen abzujagen, indem man Menschen in Armutslagen beschimpft.