Eingliederungshilfe: BSG bestätigt Anspruch auf Urlaubsassistenz

Mit Urteil vom 19.5.2022 hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass im Rahmen der früheren Eingliederungshilfe nach dem SGB XII auch Anspruch auf Übernahme der Kosten für Hotel- und andere Reisekosten besteht, die entstehen können, wenn die leistungsberechtigte Person Urlaub und von Assistenzkräften begleitet wird (Aktenzeichen B 8 SO 13/20 R).

Der Kläger unternahm im Juli 2016 eine siebentägige Nordseereise auf einem Kreuzfahrtschiff. Er ist wegen seiner Behinderung dauerhaft auf Assistenz angewiesen und beschäftigt drei Assistenzkräfte im Arbeitgebermodell. Vom Sozialhilfeträger, der damals für die Eingliederungshilfe nach dem SGB XII zuständig war, verlangte er die Übernahme der Reisekosten für einen Assistenten. Der Sozialhilfeträger lehnte das ab. Die Entscheidung wurde durch die Instanzgerichte bestätigt (SG Leipzig, 5.12.2017, S 10 SO 115/16;
Sächsisches LSG, 29.8.2019, L 8 SO 6/18). Das LSG ließ die Revision nicht zu. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers zum BSG war jedoch erfolgreich. Im anschließenden Revisionsverfahren hob das BSG die Entscheidungen der Instanzgerichte auf und verwies die Sache zurück an das LSG, das noch weitere Ermittlungen vornehmen muss.

Das LSG hatte die Berufung mit der Begründung zurückgewiesen, dass, so sinngemäß, ein Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe für einen Urlaub nur bestehen könne, wenn der Urlaub selbst in besonderer Weise der Eingliederung der leistungsberechtigten Person in die Gemeinschaft diene. Diese Voraussetzung verneinte das LSG. Der Urlaub diene - lediglich - der Erholung. Daher bestehe kein Anspruch auf Übernahme der Reisekosten des Assistenten.

Die Begründung des Urteils des BSG wurde noch nicht veröffentlicht. Im Terminbericht hebt das BSG hervor, dass es gerade nicht darauf ankommt, ob die Urlaubsreise selbst dem Zweck der Eingliederungshilfe diene. Daher bestehe auch kein Anspruch auf Übernahme der Kosten der Urlaubsreise. Entscheidend sei vielmehr, dass eine einwöchige Urlaubsreise „ein angemessenes soziales Teilhabebedürfnis” sei und „nicht über die Bedürfnisse eines nicht behinderten, nicht sozialhilfeberechtigten Erwachsenen” hinausgehe. Daher „sind behinderungsbedingte Mehrkosten wie die Reisekosten einer notwendigen Begleitperson, mit denen der behinderte Mensch allein aufgrund seiner Behinderung konfrontiert ist” im Rahmen der Eingliederungshilfe zu übernehmen, „wenn sie vor dem Hintergrund seiner angemessenen individuellen Wünsche notwendig zum Erreichen der Leistungsziele sind und das Teilhabebedürfnis - hier nach Erholung - nicht bereits erfüllt ist”.

Die Entscheidung ist auf das neue Recht der Eingliederungshilfe nach dem 2. Teil des SGB IX, das seit dem 1.1.2020 gilt, übertragbar. Ihre Bedeutung geht weit über die Frage nach der Begleitung während eines Urlaubs hinaus, denn sie korrigiert ein grundlegendes Missverständnis der Aufgabe der Eingliederungshilfe, das den Entscheidungen der Instanzgerichte zugrunde liegt. Diese waren der Auffassung, dass die Aktivitäten, in deren Zusammenhang der Kläger wegen seiner Behinderung Assistenz benötigt, dazu dienen müssen, die Eingliederung in das soziale Leben zu fördern. Ganz abgesehen davon, dass auch das im Fall einer Urlaubsreise zu bejahen sein sollte, kommt es darauf aber gar nicht an, wie das BSG nun klargestellt hat. Entscheidend ist nicht, ob die Aktivität selbst Zielen der Eingliederungshilfe dient, sondern ob sie ein Bedürfnis befriedigt, das gesellschaftlicher Normalität entspricht. Das bringt das BSG durch den Vergleich mit anderen, nicht behinderten und nicht sozialhilfebedürftigen Erwachsenen zum Ausdruck. Die Entscheidung konkretisiert damit die normative Dimension des Bedarfs, die durch den Grundsatz der gleichberechtigten Teilhabe mit anderen, den die UN-Behindertenrechtskonvention vorgibt, bestimmt wird.

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