Auch umfassende Pflegebedürfigkeit steht Eingliederungshilfe nicht entgegen

Das SG Freiburg hat im Eilverfahren nach § 86b SGG entschieden, dass auch eine umfassende Pflegebedürftigkeit dem Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe nicht entgegensteht. Außerdem hat das Gericht klargestellt, dass zB die Unterstützung im Schriftverkehr eine "geradezu typische Aufgabe der Eingliederungshilfe" ist, wenn die betroffene Person "lediglich in tatsächlicher Hinsicht der Unterstützung bedarf".

Im konkreten Fall hatte der Sozialhilfeträger den Antrag eines 74-jährigen durch multiple Sklerose weitgehend gelähmten Mannes auf Leistungen der Eingliederungshilfe abgelehnt und das unter anderem wie folgt begründet: "Soweit eine Besserung oder Milderung des Zustandes und auch eine wenigstens teilweise Unabhängigkeit von Pflege nicht mehr erreicht werden kann, kommt nicht Eingliederungshilfe, sondern Hilfe zur Pflege in Frage. Da der Antragsteller vollständig auf pflegerische Maßnahmen angewiesen ist und die beantragten Teilhabeleistungen nicht ohne vorherige Pflegemaßnahmen möglich sind, kann die Aufgabe der Eingliederungshilfe [...] nicht mehr erfüllt werden." Für die Unterstützung bei Post und Schriftverkehr verwies der Sozialhilfeträger den Betroffenen auf die gesetzliche Betreuung nach § 1896 BGB.

Das Betreuungsgericht bestellte daraufhin einen gesetzlichen Betreuer für den Aufgabenkreis "Rechtliche Vertretung bezüglich sozialrechtlicher Ansprüche und Teilhabeleistungen", mit dessen Hilfe der Betroffene den Anspruch auf Eingliederungshilfe gegen den Sozialhilfeträger geltend machte und nach Erlass des o.g. abschlägigen Bescheides im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes nach § 86b Abs. 2 SGG vor dem SG weiter verfolgte. Das SG wies den Antrag zwar ab, stellte aber klar, dass die Entscheidung des Sozialhilfeträgers "rechtlich nicht haltbar" sein dürfte.

Das SG Freiburg führt dazu aus, die Rechtsauffassung des Sozialhilfeträgers "verkennt freilich die gesetzlichen Aufgaben der Eingliederungshilfe. Weder beschränken sich diese auf die 'Besserung oder Milderung eines Zustandes' [...], noch wird gar bei pflegebedürftigen behinderten Menschen [...] kumulativ vorausgesetzt, dass 'auch eine wenigstens teilweise Unabhängigkeit von Pflege [...] erreicht werden kann.'"

Der Umstand, dass Betroffene aufgrund seiner körperlichen Einschränkungen die Post nicht mehr aus dem Briefkasten holen, bearbeiten und ggf. beantworten könne, rechtfertige die Bestellung eines Betreuers für einen diesbezüglichen Aufgabenkreis nicht. Im Ergebnis bestätigt das Gericht, dass die Eingliederungshilfe eine andere Hilfe im Sinne von § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB ist, die im Verhältnis zur rechtlichen Betreuung vorrangig ist.

Diese Ausführungen sind auf die Eingliederungshilfe nach dem 2. Teil des SGB IX, der zum 1.1.2020 in Kraft tritt, übertragbar und damit auch wegweisend für das neue Recht der Eingliederungshilfe (Bundesteilhabegesetz).

SG Freiburg, Beschluss vom 24.10.2019, S 9 SO 4039/19

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